Freitag, 20. Mai 2011

Strauss-Kahn und Bildkontrolle

IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn steht unter Verdacht, eine Frau vergewaltigt zu haben. Daher wurde er am 14. Mai 2011 festgenommen. Wie in jedem westlichen Land gilt für ihn zunächst die Unschuldsvermutung. Doch lange vor einem Richterspruch wird er bestraft – mit dem Verlust der Kontrolle über sein Bild in der Öffentlichkeit.
Das Ziel Visueller Kommunikation ist die Formung eines Images in den Köpfen der Betrachter. Als IWF-Chef und zukünftiger Präsidentschaftskandidat, der die Umfragewerte anführte, konnte er sich täglich vor den Bildmedien inszenieren und das Bild, das von seinem Körper in der Öffentlichkeit zirkulierte, bestimmen. Das Recht am eigenen Bild bedeutet auch das Recht, über sein Erscheinen selbst entscheiden zu können.
Dies wurde Strauss-Kahn nun nicht genommen, weil er eine Person der Zeitgeschichte wäre, für die das Recht am eigenen Bild nur eingeschränkt gilt. Stattdessen wird er mit der Begründung, er würde so behandelt wie jeder andere auch, vor einer Journalistenmenge dem Perp Walk ausgesetzt, deshalb wird die Öffentlichkeit zur ersten Verhandlung zugelassen und ein Gefangenenfoto veröffentlicht. Der Argumentation folgend, wird Strauss-Kahn der gleichen Demütigung unterzogen, die jeder Verdächtige in den USA über sich ergehen lassen muss – außer dass hier eine Weltpresse Bilder überträgt.
Übernächtigt, mit den Kleidern, die er bei der Verhaftung trug, unrasiert und mit Handschellen als Krimineller – das Gegenteil des Images, das eine Visuelle Kommunikation im Vorwahlkampf erreichen sollte. Grund dafür ist, dass ihm die Kontrolle über sein Bild in der Öffentlichkeit genommen wurde. Dies zerstört sein öffentliches Erscheinungsbild und gleicht einer Strafe bevor der Prozess beginnt. Perp Walk beinhaltet das Wort perpetrator, also Täter, nicht Verdächtiger (suspect).
Zu Recht ist eine solche Vorführung in Europa meist unzulässig, in Frankreich mit dem Gigou-Gesetz explizit verboten. Es ist benannt nach der sozialistischen Justizministerin Elisabeth Gigou und untersagt Fotos von Beschuldigten in Handschellen. Zwar wurde auch Jörg Kachelmann auf den Metern zum Gefangenentransporter von den Bildmedien abgefangen. Sein Anwalt ließ ihn aber seit Prozessbeginn symbolisch meist in einem weißen Hemd erscheinen. Seine Kontrolle über die Inszenierung des eigenen Körpers in der Öffentlichkeit ist somit (zumindest in Grenzen) erhalten.
Als einzige steuerbare Aktion blieb Strauss-Kahn das weit weniger starke Textmedium: In seinem Rücktrittschreiben an den IWF beteuerte er seine Unschuld. Die um die Welt gegangenen Bilder suggerieren das Gegenteil.
Über die Schuld eines Strauss-Kahn, Kachelmann oder Assange werden Richter entscheiden. Sollten sie sich als unschuldig herausstellen, wird es schwierig, das öffentliche Bild wieder positiv zu gestalten – aber nicht unmöglich.

Update:
„Die Wahllichtbildvorlage dient der Identifizierung von namentlich bekannten Personen als Tatverdächtige durch Zeugen in strafrechtlichen Ermittlungsverfahren. Sie hat einen hohen forensischen Beweiswert“, so das NRW-Innenministerium. Der BHG hat beschlossen, dass auch eine Serie von Bildern vorgelegt werden kann: „Die Wahlllichtbildvorlage ist eine der effektivsten Möglichkeiten, einen Täter zu überführen. […] Stand der Technik ist die sequentielle Wahllichtbildvorlage […] 8 Bilder nacheinander sind optimal.“ Von der NSU-Terroristin Beate Zschäpe wurde nun zur Identifizierung offenbar erstmalig ein Video erstellt. Und dies wurde in den Tagesthemen vom17.11.2012 gezeigt. Eine Form von Perp Walk? 
Das Beispiel zeigt jedenfalls, wie wichtig die Diskussion um Bilder und ihre Funktion in unserer Gesellschaft ist.

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